F. L. Fillafer: Aufklärung habsburgisch

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Titel
Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa, 1750–1850


Autor(en)
Fillafer, Franz Leander
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
628 S.
Preis
€ 54,90
von
Andreas Burri

Vorliegendes Buch ist darum bemüht, die Diversität der Aufklärung in ihrer habsburgischen und damit auch katholischen Erscheinung zu zeichnen; es kämpft gezielt gegen einseitige Deutungshorizonte: Die Aufklärung sei nicht zwingend an Reformation und Revolution gebunden und mit Napoleon untergegangen. Es gab vor und auch nach der Revolution eine habsburgische Aufklärung, die geprägt von diversen originellen Handhabungen war. Zentraleuropa hinkte nicht lediglich Frankreich und England hinterher und sei nicht auf eine Konterreaktion zu reduzieren (11–13, 16).
Die Studie zeichnet sich durch eine sehr fleißige, quellenfundierte Beschäftigung mit dem aus, woraus sich das Habsburgerreich der Neuzeit und Moderne zusammensetzt: ein mehrsprachiges Gebiet mit Nationen unterschiedlicher Geschichtsnarrative und Kulturen. Gerade in diesen Narrativen wird der Aufklärung je nach Zeit, je nach Ort eine andere geschichtspolitische Funktion zugewiesen. Wichtige Schemen waren dabei v. a. die Revolutionsabwehr, der Sprachnationalismus und die dynastische Loyalität. Zwischen diesen Feldern spielte sich ein dynamisches Kräftespiel ab: So untergrub die Nationalsprache als neue Identität einerseits die Gesamtmonarchie, förderte andererseits aber die Demokratisierung, insofern das die jeweilige Sprache sprechende Volk nun Träger jener Identität war, die dann entsprechend über die konfessionelle Differenz, von der auch das Habsburgerreich geprägt war, hinausging. Diese für die Moderne bekannte Nationalisierung war aber nicht zwingend chauvinistisch, sondern oftmals von der Idee eines Weltbürgertums getragen, das dann allerdings auch in der eigenen Nation im Kontrast zu den Nachbarländern als am weitesten entwickelt angesehen wurde (39–41, 49–52, 56f., 60, 66).
Jene drei Felder kreisten in der habsburgischen Aufklärungszeit besonders um den Begriff des Josephinismus. Die Frage nach dem Staatskirchentum wurde im Verlaufe der habsburgischen Aufklärung zu einem zentralen Thema, wobei sich die Konturen in der mariatheresianischen Ära abzeichneten. Wie viele «Ismen» sei auch der «Josephinismus» geformt von seiner Gegnerschaft, die die sichtbare Kirche nicht unter dem Staat wissen wollte. Entsprechend diente dieser Begriff auch den Liberalen um die Mitte des 19. Jhs. dann als positiver Identitätsgrund, insofern sie einen aufgeklärten Vernunftstaat deutscher Sprache begehrten, wobei der Katholizismus in seiner politischen Unabhängigkeit und mit lateinisch-italienischer Sprache als Störfaktor begriffen wurde. Unter solchen Positionen wurde der Josephinismus mehr und mehr ein kulturpolitischer Begriff, der bis heute die Geschichtswissenschaft präge, aber eben des Öfteren nicht angemessen differenziert (67f., 192).
Generell müsse die damalige konfessionelle Situation viel differenzierter betrachtet werden, insofern einerseits Menschen protestantischer wie katholischer Konfession zusammen an jener deutschsprachigen Kulturidentität arbeiteten, wie andererseits die katholische Reform ein Programm fahren konnte, das viel diverser gestaltet war, als eine einfache Situierung in «Aufklärung», «Josephinismus» oder «Gegenaufklärung» erlaubt. Was vorerst noch im gemeinsamen Kampf gegen Aberglauben (bzw. was man damals darunter verstand) einherging, entzweite sich alsbald an der Frage der Distanz, die man der Tradition entgegenzubringen hatte. Gewissen Positionen wurde «Aufklärung» zunehmend zum Programm der Verstaatlichung der Religion unter gleichzeitiger Hybris des Staatsbegriffs, jedoch ohne dass der methodologische Grundkonsens, der anfangs noch herrschte, wie z.B. kritische Kirchengeschichtsschreibung und seelsorgerische Renovation, dabei aufgegeben wurde. Unter solchen Spannungen verhärteten sich die Begriffe «Aufklärung» und «Gegenaufklärung» zunehmend zu einseitigen Kulturpamphleten. Nach 1848 waren Liberale bemüht, den Vormärz als Epoche der staatlichkirchlichen Unterdrückung zu bezeichnen, wobei der Katholizismus als Motor der Rückständigkeit betrachtet wurde. Gegen diese Einseitigkeit wehrte sich die katholische Reform, isolierte sich dabei aber zunehmend selbst, wie sie als Reaktion gerade auf der Andersartigkeit des Katholizismus insistierte und dabei z. B. die Barockfrömmigkeit als identitätsstiftende Alternative zur mit Säkularisierung bzw. Entchristlichung und Sittenverfall identifizierten Aufklärung etablierte. Diese Bewegung lief also dann in den tendenziösen Gegeneffekt, die Aufklärung selbst auf Vernunftdespotismus zu reduzieren. Weiter zeigt der Autor, wie eine Vereinfachung der habsburgischen Moderne als eine simple Reaktion auch nicht auf ihre Wirtschaft und Jurisprudenz zutrifft; bei letzterer weist der Autor auf die enorme Bedeutung Kants hin, wobei er das gängige Narrativ als überholt analysiert, dass die habsburgische Moderne nicht auf Kant eingegangen und infolgedessen einer antiidealistischen Entwicklung ausgesetzt gewesen sei, gipfelnd im Wiener Kreis. Der Autor zeigt hier, wie v. a. Kant in habsburgischen Ländern katholischer- wie protestantischerseits tatsächlich sehr breit rezipiert wurde, spezifisch seine Vernunftkritik, die Raum für positive Religion ließ (77f., 82–84, 95f., 157, 161–164, 171–173, 181, 197–199, 202f., 207–209, 219–224, 227–232, 238f., 314, 331, 336, 354, 420–423).
Fazit: Grundlegend ist der Autor also bestrebt, die allzu einseitige Geschichtsschreibung nach einem langen Prozess der Verhärtung der Fronten zu differenzieren. Sowohl Liberale wie Konservative der österreichischen Moderne fänden beide die Wurzeln ihres Denkens in der Aufklärungszeit. In dieser kam dann aber das historische Selbstbewusstsein auf, insofern die eigene Gegenwart als Bruch mit der Vergangenheit empfunden wurde, heißt: Mit der Französischen Revolution wurde die Aufklärung selbst historisiert. Der Autor zeigt in seiner Studie, wie sich dieser Historisierungsprozess immer mehr auf ein bestimmtes Narrativ reduzierte, das von der Reformation zur Revolution eine klare Linie sah, auf welcher der besondere Weg der habsburgischen, katholischen Aufklärung nicht mehr tradiert wurde. Die Aufarbeitung dieser Tradierung ist Anliegen dieses Buches (513–519, 522–527).
In diesem Vorhaben zeugt das Buch von erstaunlichem Durchhaltewillen, die äußerst komplexe Situation der habsburgischen Aufklärungszeit bis hin zur Mitte des 19. Jhs. differenziert zu zeichnen. Dabei kommen diverse Quellen – und nicht nur deutschsprachige – zu Wort. Leider ist eine Leseführung so gut wie nicht vorhanden: Der Autor verwendet wiederholt Metaphern, die das Verständnis eher erschweren denn erleichtern. Ebenso kann sich die Leserschaft oft im Unklaren wiederfinden, an welchem konkreten Ort und zu welcher genauen Zeit sie sich im Buch gerade befindet. Dies mag u. a. daran liegen, dass das Buch tendenziell in die Präambel zurückkehrt, wenn es wiederholt um die Dekonstruktion vorhandener Historiographie bemüht ist. So setzt sich das Buch aus vielen Fallbeispielen zusammen, die allzu tabellarisch geschrieben sind; zu einer eigentlichen Geschichtsschreibung, einer Erzählung und damit einer Leseführung kommt es selten. Auch die Terminologie ist oftmals unnahbar; gerade so weitläufige Begriffe wie «Staat», «Kirche», «liberal», «Wissenschaft», «Naturrecht» usw. stehen tendenziell unerklärt im Raum; die Leserschaft muss diesen Begriffen dann selbst eine Konkretion zuweisen, was die Lektüre anstrengend macht. Inhaltlich können wir uns weiter fragen, ob nicht die Diversität der Aufklärung sowie ihre entsprechend vielfältigen historiographischen Deutungskonzepte samt deren jeweiligen Beschränktheit einigermaßen evident sind, wie auch Herodot, eine Chronik, Voltaire oder Gibbon, ja alle, die Geschichte erzählen, diese konstruieren. Die Einräumung dieser Evidenz würde wiederum selbst mehr Raum für die Frage geben, was uns welche Menschen jeweils warum mitteilen wollen. Diese Frage ist aber viel komplexer als die einfache Dekonstruktion, dass sie befangen sind. Der Autor wendet sich freilich auch dieser Frage zu; allerdings scheint die spekulative Weitsicht, die hier besonders anregend wäre, in der Selbstsicherheit des Vorhabens unterzugehen: Allzu sicher scheinen mir hier die Urteile über die Motivation der Menschen jener Zeit dazustehen. Gerade der Selbsthumor in der Erkenntnis, dass ja auch gegenwärtige Historiographie wesenhaft Geschichtskonstruktion ist und sein soll, könnte Raum dafür geben, freier und provokativer zu denken, um das erreichen zu können, was Wissenschaft ausmacht: Wachstum durch Skepsis. Es könnte mehr darüber spekuliert werden, was das Phänomen der Aufklärung mit den Menschen damals und heute gemacht hat und was der Sinn einer solchen Veränderung im Vergleich mit Vergangenheit, Gegenwart sowie aber auch Zukunft sein könnte. Diese kritischen Anmerkungen hindern aber nicht im Geringsten, die Rezension damit abzuschließen, dass in dieser Studie dank ihrem Fleiß und ihrer Offenheit für das Detail in den Quellen eine wissenschaftlich sehr fundierte Abhandlung vorliegt, die ihrem äußerst komplexen Thema methodisch wie inhaltlich beindruckend gerecht wird.

Zitierweise:
Burri, Andreas: Rezension zu: Franz Leander Fillafer, Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850, Göttingen, Wallstein, 2020,. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 441-443. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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